Kolumne: Der golden Boy an der Harfe

Seit sieben Monaten ist York Pijahn Vater. Und bekommt seitdem Väterbücher geschenkt. Echt wahr – dabei kommt es als junger Vater doch vor allem auf eines an: perfekt zu lügen.

Ein 5-Punkte-Plan

Die ersten Geschenkpäckchen kamen mit der Post. Alle weiteren drückten mir meine Freunde direkt in die Hand. „Für Euch.“ Schmelzender Blick. „Und ALLES Gute. Jetzt wird ja ALLES anders.“ Sie müssen sich diese Sätze in einem schwelgerischen Singsang vorgetragen vorstellen. Und mit einer winzigen Drohung, die wie ein Geruch durch die Worte weht. „Jetzt wird alles anders.“ In Klammern: „Wirst schon sehen, jetzt ist das Yuppie-Leben vorbei, Du alter Faulbeutel.“ Als wäre man endlich und als Letzter auch einer Sekte beigetreten, die auf einer Farm in Missouri darauf wartet, dass der Messias mit einem Ufo vorbeikommt. Ich mache das Paket auf und halte einen Eltern-Ratgeber speziell für Väter in der Hand. Davon habe ich ja erst sieben, nein acht, jetzt sind es neun, geschenkt bekommen. Im Titel kommt immer das Wort „Pappi“ oder „Vatti“ oder in der wilden Variante „Kacki!“ vor.
Sieben Monate ist es her, dass ich Vater geworden bin. Ich bekomme nur noch Babykram geschenkt. Früher haben mir meine Freunde CDs gebrannt, jetzt gibt es gebrauchte Beißringe. Das sind Gummischeiben, die aussehen wie etwas Schmerzhaftes aus einem Osterberliner Sexshop. Beißringe sind dazu da, damit Babys…ach egal. Auf jeden Fall will man keine gebrauchten Beißringe bekommen. Neue eigentlich auch nicht. Ein Freund hat mir bei der Arbeit einen Aufkleber in Form eines Dreiecks geschenkt, auf dem steht: „Baby an Bord“. Ich dachte so was haben nur Leute, die bei Peter-Maffay-Konzerten ihr Feuerzeug hochhalten. Wird wohl jemand den Plan, in unser Auto zu rasen, wegen dieses Aufklebers aufgeben? Im Sinne von: „Hey, ich fahr doch nicht in den blauen Honda rein, die haben ein Baby an Bord. Ich krach mal in den Opel da drüben, da sind nur Rentner an Bord.“ Seit meine Freundin und ich einen Sohn haben, bekomme ich miese Geschenke. Außerdem neu für mich: Das Belügen und verbale Niederringen anderer Paare ist seit sieben Monaten Teil meines Lebens. Eine Disziplin, in der ich schwer zu toppen bin. Der Grund für dieses schäbige Verhalten ist simpel: Nachdem man eine kaum zählbare Zahl von Wochen übermüdet durch die Wohnung gewankt ist, den Windeleimer unterm Arm wie eine Astronautenhandtasche, will man das Gefühl haben, dass es sich gelohnt hat. Das was besonders Tolles dabei rausgekommen ist. Nicht ein Kind. Sondern das BESTE Kind. Bloß: Das denken alle. Und hier beginnt der härteste Wettbewerb aller Zeiten.

Als junge Eltern gondelt man am Wochenende müde mit dem Kinderwagen durch die Gegend, kippt sich groteske Mengen Milchkaffee hinter die Binde, trifft andere müde Paare und sitzt dann gemeinsam in Müde-Eltern-Cafés. Kondenswasser rinnt von der beschlagenen Fensterfront, es riecht nach Mütze.


Regel 1: Sagen Sie, um die Atmosphäre anzuwärmen, dass das Kind des anderen Paares süß ist. Egal wie es aussieht. Wenn das Kind eher robust als süß aussieht und davon gibt es viele, loben sie ein Körperteil. „Der hat aber süße Hände/Ohren/Mundwinkel.“ Das ist der Trostpreis. Bekannte haben gerade ein Kind bekommen, das meine Freundin und ich heimlich und zu Recht „Kanisterkopp“ nennen und ich habe den Eltern versichert, dass es die niedlichsten Ohren hat.


Regel 2: Zeigen Sie, dass ihr Kind vorne liegt. Vorne? Im Rennen des Lebens. Unser Sohn zum Beispiel, hat früh zwei winzige, scharfe Zähne bekommen, die mir als Beleg dienen, dass unser Kind einfach schnell in allem ist. Er wird im Kindergarten Lateinkurse geben und Harfe spielen während alle anderen noch so doof sind, sich dauernd die Triangel auf die Füße fallen zu lassen. Wichtig: Den Satz „Unserer hat ja schon Zähne – und Eurer!?“ immer mit der Bereitschaft sagen, das andere Paar, welches offensichtlich ein für immer zahnloses Balg bei sich wohnen hat, mit falschem Mitleid einzureiben. Im Sinne von: „Das kommt sicher noch, manche Kinder sind halt etwas später dran.“ Mit Allem! Und für immer. Haha!


Regel 3: Leugnen Sie bei allem, was mit dem Kind gut läuft, dass es daran liegt, dass Sie sich 24 Stunden am Tag kümmern und ihr früheres Privatleben durch den Schredder gejagt haben, sondern sagen Sie: „Wir haben einfach Glück!“ – was im Umkehrschluss bedeutet, dass das andere Paar ja im großen Kinderlotto eine betreuungsintensive Niete gezogen hat. Nix zu machen. Wenn das andere Paar dann noch nicht am Boden ist, ziehen Sie den Vornamenjoker und das wäre…


Regel 4: Wenn die anderen Müdeneltern sagen, ihr Kind heiße Ramon/Momme/Hilko – oder hat einen anderen übermotirisierten Mistnamen – dann lächeln sie und antworten: „An den Namen haben wir AM ANFANG auch gedacht. Was ja so viel heißt wie: Bevor uns klar wurde, dass das ein Name für dauererkältete Schnottennasen-Kinder ist, die nie so tolle Zähne haben werden, wie unser Golden Boy an der Harfe. Mein Kumpel Markus wird übrigens bald Vater, er kann sich jetzt schon auf einen Regalmeter Väterliteratur von mir freuen. Und ich werde ihm einen alten Beißring schenken. Malträtiert von den zwei besten Zähnen der Welt. Denn jetzt, wird für ihn alles anders.